Hintergrund

Oder: Die Geschichte hinter den Geschichten

Das Projekt „Der digitale Dichter“ entstand 2024 aus einer spontanen Laune heraus. Ich war gerade in einem Interview zum Einsatz von KI und großen Sprachmodellen gefragt worden, ob Autor*innen in Zukunft ihre Bücher wohl mit KI schreiben würden. Die Frage ließ mich auch nach dem Interview nicht los und mündete langsam aber sicher in eine Gegenfrage: Würde denn jemand „so etwas lesen wollen?“ Der digitale Dichter bietet das Angebot, nun ist es an euch, diese Frage positiv oder negativ zu beantworten. Aber ich beginne die Geschichte von hinten…

Obwohl ich als Digital Humanist, also digitale Geisteswissenschaftlerin (in meinem Falle Literatur und Kultur), schon lange mit maschinellem Lernen und Sprachmodellen arbeite, trat ChatGPT wohl vergleichsweise spät in meinem Leben. Das war nämlich erst Anfang 2023. Ich sollte gerade eine Juniorprofessur antreten und meine neuen Kolleginnen und Kollegen hatten mich für eine Ringvorlesung zum Thema „ChatGPT und Co.“ schon voll mit eingeplant. Ich entwickelte also eine Fallstudie. Als Erzähltheoretikerin wollte ich vor allem wissen, ob ChatGPT uns etwas darüber zeigen kann, wie Geschichten, bestimmte Motive und Stilrichtungen erzeugt werden und wie sie wirken. Da mich Märchen über Meerjungfrauen schon immer besonders fasziniert haben, wählte ich diese für meine Fallstudie und so tauchte ich ab in die faszinierende Tiefe automatisch generierter Ozeanwelten.

Ich nutzte zunächst einfache Prompts, um 10 Geschichten – allesamt Stilimitationen – generieren zu lassen. Ich untersuchte diese Geschichten dann mithilfe gängiger digitaler Methoden und verglich sie mit ihren „echten“ Vorbildern. So zeichnete sich bald eine klare Tendenz ab: ChatGPT erzählt meist Geschichten von guten, schönen Meerjungfrauen, die auf künstlerische, philosophische oder in anderer Weise nachdenkliche und meist junge Männer treffen. Man redet ganze Nächte lang, hegt gegenseitige Sehnsüchte aber die Liebe bleibt am Ende unerfüllt, die Kluft zwischen den Welten zu groß. Den Stil seiner Vorbilder kann ChatGPT nicht wirklich imitieren. Diese Geschichten haben einfach einen anderen Rhythmus als die echten.

Rund 1,5 Jahre, einen Versionssprung und zahlreiche Prompt-Engineering-Tipps später sind wir wohl an einem ganz anderen Punkt angekommen. Oder? Irgendwie wurde ich zurückgeführt zu meinen künstlichen Meerjungfrau-Geschichten und ich fragte mich, was wohl die Verbesserung des Sprachmodells von GPT 3 auf 4.o gebracht hat und ob wir in der Zwischenzeit alle zu weit besseren Prompting Ingenieuren geworden sind. Schaffen wir es inzwischen, ChatGPT bessere Geschichten schreiben zu lassen? Ich setzte mich also wieder an den Computer und ließ zunächst mit denselben Prompts, die ich 1,5 Jahre zuvor genutzt hatte, erneut Geschichten generieren. Ich nutzte dann ganz einfache, grundlegende Tipps des Prompt Engineerings, die inzwischen wahrscheinlich viele von euch kennen. Ich kontextualisierte, ich ließ ChatGPT Schritt für Schritt vorgehen und ich versprach ihm 300.000€ wenn die Geschichte gut werden würde. Sind diese Geschichten nun besser als die anderen? Schafft ChatGPT es jetzt wirklich, jemand „Echtes“ zu imitieren? Diese Geschichte gilt es an einem anderen Tag zu erzählen…

Denn genau an diesem Punkt unterbrach mich die Frage nach der Verwertbarkeit der Geschichten, die ich hatte schreiben lassen. Oder, anders ausgedrückt, die Frage nach einem praktischen Wert dessen, was mich bisher – ehrlich gesagt – nur theoretisch interessiert hatte. Und nun sind wir hier und ich warte darauf, dass ihr mir die Frage beantwortet, ob man das eigentlich auch lesen kann. Ob es einen Wert hat und ob es beim Lesen eine Rolle spielt, dass dies keine „echte“ Literatur ist. Wenn du mit mir zusammen diese Frage beantworten möchtest, so freue ich mich, wenn du die Geschichten des digitalen Dichter liest und ein paar Fragen zu deinen Leseeindrücken beantwortest. Ob es sein kann, dass deine Daten dann für Forschungszwecke genutzt werden? Nun, ich denke das ist wohl so gut wie sicher. So oder so danke ich dir für deine Zeit, dafür dass du dir die Geschichte bis hierher durchgelesen hast und falls du nur auf dieser Seite bist, weil dich die technische Dokumentation dessen interessiert, was ich gemacht habe, um die Geschichten des digitalen Dichters schreiben zu lassen, so sollst du nun auch noch kurz auf deine Kosten kommen.

Die Technik hinter den Geschichten

Phase 1

Korpus: 10 Meerjungfrau-Narrative
Stile: Romantik, Schauerromantik, Dorothea Schlegel, Ricarda Huch, 19. Jahrhundert, Oscar Wilde, Hans Christian Andersen, Terry Pratchett, Game of Thrones und eine Regensburger Legende
Prompts: Kannst du mir eine Geschichte schreiben, die im Stil xy verfasst ist und von einer Meerjungfrau handelt?
ChatGPT-Version 3.0

Phase 2.1

Korpus: 10 Meerjungfrau-Narrative
Stile: Romantik, Schauerromantik, Dorothea Schlegel, Ricarda Huch, 19. Jahrhundert, Oscar Wilde, Hans Christian Andersen, Terry Pratchett, Game of Thrones und eine Stuttgarter Legende
Prompts: Kannst du mir eine Geschichte schreiben, die im Stil xy verfasst ist und von einer Meerjungfrau handelt?
ChatGPT-Version 4.o

Phase 2.2

Korpus: 10 Meerjungfrau-Narrative
Stile: Romantik, Schauerromantik, Dorothea Schlegel, Ricarda Huch, 19. Jahrhundert, Oscar Wilde, Hans Christian Andersen, Terry Pratchett, Game of Thrones und eine Stuttgarter Legende
Prompts:
1. Kannst du den Stil von xy beschreiben?
2. Du bist jetzt xy bzw. eine Schriftstellerpersönlichkeit der Stilrichtung xy. Schreibe ein Kunstmärchen über eine Meerjungfrau. Nuze dabei alle oben genannten Stilmerkmale. [Alle Stilmerkmale noch einmal benannt und deren Wichtigkeit betont]. Schreibe zunächst einen groben Verlauf für die Kapitel.
Wenn die Geschichte gut ist, bekommst du von mir dafür 300.000€.
3. Beginne nun mit dem 1. Kapitel (und folgend nach jedem Kapitel eine positive Rückmeldung und die Bitte fortzufahren)
ChatGPT-Version: 4.o

Es ist derzeit geplant, die Texte der oben beschriebenen Korpora im txt und in einem einfachen TEI-xml-Format auch auf GitHub zu veröffentlichen und so zur Nachnutzung bereitzustellen.

Die Geschichten des digitalen Dichters nach Stilrichtung

Wie aus dem 19. Jahrhundert